Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Jesus und die Frau am Brunnen -
eine Predigt zu Johannes 4 mit viel Müll

 

[In der Mitte der Kirche ist aus bemalten Schuhkartons ein Brunnen aufgebaut, in dessen Mitte blaue Plastikfolie das Wasser symbolisieren soll.]

Liebe Gemeinde,

ich will zu Beginn die Geschichte noch einmal kurz nachzeichnen. Jesus kommt zu einem Dorf in Samarien. Er setzt sich dort an den Brunnen, der vor dem Dorf gegraben ist. Eine Frau kommt, und Jesus bittet sie um Wasser. Daraus entwickelt sich ein Gespräch, in dem Jesus der Frau lebendiges Wasser anbietet. Die Frau bittet ihn: gib mir davon, dann habe ich keinen Durst mehr! Und da geschieht etwas merkwürdiges. Jesus fragt die Frau nach ihrem Mann. Und sie antwortet: Ich habe keinen Mann. Und Jesus sagt ihr auf den Kopf zu: Richtig, du hattest fünf Männer und auch der jetzige ist in Wirklichkeit nicht dein Mann. Damit trifft Jesus das Thema dieser Frau: ihren unstillbaren Durst nach Liebe, Anerkennung und Zuwendung. (Woher Jesus das alles hier weiß, wird hier nicht gesagt. In anderen biblischen Geschichten läßt sich sehr genau nachzeichnen, daß Jesus oft mit einem einzigen Blick exakt das Thema von Menschen versteht.)

Ist es Zufall, daß dies alles an einem Brunnen geschieht? Brunnen sind ein uraltes Symbol für Menschen. Menschen sind wie Brunnen. Alle haben Zugang zum Wasser in der Tiefe. Zum Grund ihres Lebens. Zu ihren Gefühlen. Wasser ist immer ein Symbol für unsere Gefühle. Menschen haben Zugang zu ihrer Tiefe und zu dem Wasser darin. Dafür werden Menschen geboren. Dafür werden Brunnen gegraben. Daß sie daraus leben und überfließen können.

Dann kommt die Welt.

Die Eltern. Die Großeltern. Die Geschwister, Nachbarn Freunde, Lehrer, Erzieherinnen... Und es passiert, daß unsere Tiefe verstopft, verschmutzt, verschüttet wird.

Das Tragische: Wir haben es alle erlebt und geben´s weiter. Unbewußt. Wir können nicht anders. Wenn wir mit dem Begriff Erbsünde noch etwas anfangen können, dann hier. Wir erleiden Einschränkungen und geben sie automatisch weiter.

Ich will dies symbolisch deutlich machen.

[Ich gehe vom Stehpult mit einem Stoffbeutel an den Rand des Brunnens in der Mitte der Kirche.]

Wir hören als Kinder zum Beispiel:

Ein Junge weint nicht.

[Bei jedem der jetzt folgenden Sätze hole ich aus dem Beutel ein Stück Abfall - eine Dose, einen Korken, Papierknäuel usw. - und werfe es in den Brunnen.]

Du hast hier nichts zu sagen.

Laß die Finger davon.

Dafür bist du noch zu klein.

Grins nicht so unverschämt.

Kopf hoch.

Halt die Klappe.

Solange du deine Füße unter meinen Tisch steckst, machst du, was ich sage.

[An dieser Stelle frage ich die Gemeinde, ob jemand ein weiterer Satz einfällt. Zu jedem Zuruf werfe ich weiteren Abfall in den Brunnen.]

Natürlich gehören auch Prügel und Schlimmeres zu dem Abfall, der sich auf dem Grund unseres Brunnens ablagert.

Tragisch ist das, was da geschieht. Wir haben es alle erlebt als Kinder und es setzt sich bei den Erwachsenen fort, nur meist etwas diffiziler.

Tragisch ist auch, daß nicht immer eine Kleinigkeit nur eine kleine Wirkung hat. Ein für meine Ohren harmloses Wort kann verheerende Wirkung bei einem Kind oder einem Erwachsenen haben. Umgekehrt mag eine für mich furchtbar klingende Sache bei einem Anderen vielleicht nur eine geringe Wirkung haben. Wir haben´s nicht in der Hand und können´s nicht voraussagen.

Es prasselt so viel auf uns ein, daß wir keine Möglichkeit haben, es zu verarbeiten. Es bleibt im Brunnen liegen und verstopft, verschüttet, vergiftet den Zugang u meiner Tiefe, zu meinen Gefühlen, zum Wasser des Lebens. Mehr oder weniger.

Das Wasser will aber nach wie vor heraus. Es gehört zu unserem Lebensprinzip, daß Gefühle fließen wollen, ob ich das will oder nicht.

Ich will meine Freude zeigen.

Ich will meine Angst ausdrücken.

Ich will meiner Trauer freien Lauf lassen.

Ich will meine Wut herauslassen.

Kinder tun dies unverfälscht und unverkrampft, bis sie auf die Erwachsenen treffen. Und je nachdem, was ich erlebe, habe ich mehr und mehr Mühe mit meinen Gefühlen oder einem Teil damit.

Später gibt es zwei Möglichkeiten, mit dem steigenden Druck umzugehen.

Der Druck nimmt zu und will irgendwann entweichen. Er sucht sich schließlich seinen Weg zwischen dem Abfall und schießt mit Schärfe heraus. Dann sprechen wir von Gewalt oder ein Mensch brüllt laut oder Kinder werden verhaltensauffällig genannt.

Oder es geht an einer Stelle nichts mehr durch, der Abfall wiegt zu schwer. Dann sucht der Druck sich seinen Weg in Krankheiten.

Was wir erlebt haben, stellen wir dar, drücken wir aus.

In unserer Haltung. Unserem Gesichtsausdruck. Unserer Gestik.

Die Frau in der Geschichte hat Durst nach einer verläßlichen Beziehung zu einem Mann. Fünf hat sie gehabt und der momentane ist auch nicht richtig ihr Mann, d.h. mit ihm erlebt sie auch nicht, was sie sucht. In ihrem Leben sind Dinge geschehen, die diese Frau unfähig gemacht haben, zu lieben. Vielleicht war die Angst zu vertrauen, zu groß. Vielleicht hat sie nie gelernt Freude auszudrücken.

Jesus sieht auf den Grund der Seele dieser Frau wie in einen tiefen Brunnen. Das bist du, sagt er, und das ist ein Problem. Und ich biete dir lebendiges Wasser an. Komm, wag einen Schritt. Sag ja.

Da ist keine Forderung.

Da ist kein erhobener Zeigefinger.

Sondern es fließt von Jesus etwas über zu der Frau. Und sie erhält dadurch Zugang zu einem Teil ihrer verschütteten Gefühle in der Tiefe. Doch zugleich geschieht noch mehr. Es geht noch eine Stufe tiefer.

Denn wenn ich es wage, mich dem zu stellen, was in mir ist, dann kommt die Angst wieder hoch. Die Angst, die ich damals hatte, als ich meine Gefühle zeigen wollte und auf die Erwachsenen traf. Vielleicht spüre ich noch sehr deutlich die ausholende Hand des Vaters hinter mir.

Jesus sagt: Gott will lebendiges Wasser anbieten. Will, daß du hindurchdringst zum Grund deines Daseins. Das Fundament meines Lebens ist Gottes Zusage: Ja, so bist du. Und so bist du angenommen.

Vermittelt wird dies durch Menschen. Damals durch Jesus. Heute Menschen in seiner Nachfolge. Die es mir erlauben, mich meinen Gefühlen zu stellen und sie herauszulassen, sie aus-zu-drücken und dabei glaubwürdig vermitteln, daß Gott hinter und unter mir steht, absolut und sicher.

In der Geschichte hat Jesus eine Tür geöffnet. Die Frau hat einen ersten Schritt getan. Doch der Schutt liegt noch drin. Aber sie hat Vertrauen gefaßt. Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe. Doch es muß weiter gehen.

Der Abfall muß heraus.

Schritt für Schritt.

[Ich gehe wieder zum Brunnen und hole nacheinander einzelne Abfallteile heraus und stelle sie auf den Brunnenrand.]

Damit läßt der Druck nach.

Das Wasser kann wieder fließen.

Wie das gehen kann, ist ganz unterschiedlich sein. Durch Gespräche. Durch Schreiben. Durch Lachen und Weinen. Durch Malen. Durch Singen und Musizieren. Durch Tanzen...

So können Menschen ihr Leben verändern. Es ist möglich. Jesus sagt: Komm, wag es. Du fällst nicht ins Bodenlose. Gott steht unter dir. Absolut und sicher.

Aber: Es ist nicht möglich, alles aus-zu-drücken, was da so in uns ist. Das ist uns in dieser Welt nicht verhießen.

Und: Das Aus-ge-drückte ist nicht weg! Es bleibt sichtbar auf dem Brunnenrand oder dicht daneben. Aber es drückt nicht mehr.

Voran kommen können wir. Und erleben, daß wir eines fernen Tages beginnen, überzufließen und andere so zu faszinieren und anzustecken, daß auch sie sich auf den Weg machen. So wie in der Geschichte die Frau zu ihren Nachbarn geht und sie zu Jesus bringt. Denn: Wes das Herz voll ist, fließ der Mund über.

Amen.